Mürrisch betrat Matt den Barbereich. Ein kurzer Blick auf die Uhr, die neben der verspiegelten Rückseite des Tresens hing, verschlechterte seine miese Laune nur noch. Inzwischen war es kurz vor fünf nachmittags. Routiniert holte er sein Smartphone aus der Hosentasche und legte es vor sich. Anschließend nahm er auf einem der Barhocker Platz. Seufzend schielte er auf das Display, doch abermals vergeblich.
»Da ist ja das Geburtstagskind«, hörte er die Worte hinter sich und drehte sich um.
Sean Ashton kam direkt auf ihn zu und klopfte ihm auf die Schulter.
»Alles Gute wünsche ich dir«, gratulierte ihm sein Freund und lief hinter den Tresen. »Was darf es sein? Ein Glas Sekt? Oder lieber etwas Härteres? Geht natürlich aufs Haus.« Sein breites Grinsen munterte ihn nicht wirklich auf.
»Wenn du mich so fragst, nehme ich einen Scotch on the Rocks.« Seufzend sah er Sean an. »Am besten einen Doppelten.«
»Kommt sofort.«
Matt beobachtete Sean, der nach zwei Whiskygläsern griff und zuerst die Eiswürfel hineinwarf. Dann schnappte er sich eine der Scotchflaschen aus dem Regal und schenkte ein.
»Für dich einen Doppelten und für mich einen Einfachen.«
Beide hoben die Gläser und prosteten sich zu. Matt spürte das Brennen der bernsteinfarbenen Flüssigkeit, wie sie seine Kehle hinab rann und in seinem Magen ankam. Das tat gut und entschädigte ihn vorerst für den verkorksten Tag.
»Nun raus mit der Sprache. Was ist los?« Sean setzte sich neben ihn und beide blickten sich im Wandspiegel der Bar an.
»Tyler.« Das war alles was er sagte.
»Wieso denn das?«, erkundigte sich Sean.
»Dein wertes Brüderchen hat sich den ganzen Tag noch nicht gemeldet«, platzte es aus Matt heraus. »Ich habe letzte Nacht bei mir zu Hause geschlafen, weil ich heute Morgen ein wichtiges Treffen mit einem neuen Klienten hatte und ich mich vorbereiten musste. Eigentlich dachte ich ja, Tyler würde sich wenigstens per SMS bei mir melden … bisher jedoch absolute Funkstille.«
»Das ist seltsam«, kommentierte Sean. »Ist gar nicht seine Art. Vor allem ist heute sein freier Tag und ich dachte, den würdet ihr gemeinsam verbringen.«
»So war es geplant. Doch er war die letzten Tage schon so komisch … ein wenig abweisend. Abweisend ist nicht das richtige Wort. Sorry, aber ich kann es nicht erklären.«
»Soll ich ihn mal anrufen und fragen, was los ist?«, bot Sean an.
»Lass mal. Wenn er nicht will … « Den Satz ließ er bewusst unvollendet.
Matt hatte keine Ahnung, was mit seinem Freund los war und Sean war der letzte, der sich in ihre Beziehung einmischen sollte. Er konnte es selbst regeln, aber nicht mehr heute. Vielleicht blieb er einfach hier sitzen, würde sich besaufen und später mit einem Taxi nach Hause fahren. Tyler konnte ihm momentan gestohlen bleiben.
»Ich habe eine Idee. Wie wäre es, wenn ich dich zu einem Essen einlade? Danach können wir ja wieder zurückkommen. Seth … Tylers Vertretung … mixt sehr gute Cocktails.« Sean legte den Kopf leicht schief und sah ihn neugierig an.
Matt überlegte nicht lange. Hunger hatte er und so würde sein Geburtstag nicht in einer allzu großen Depression enden. Dennoch war er immer noch verärgert. Hätte er vorher gewusst, dass Tyler es vorzog, sich nicht bei ihm zu melden, hätte er kurzerhand Harry, Sean und noch ein paar seiner Freunde zu einem feuchtfröhlichen Abend in einer Bar eingeladen.
»Okay, ich bin dabei.«
»Klasse. Du entscheidest. Ich müsste nur vorher noch etwas mit dem Auto abholen.«
»Kein Problem.« Matts Mundwinkel verzogen sich zu einem Lächeln. »Heute hätte ich mal Lust auf Sushi.«
Zehn Minuten später saß Matt in Seans schwarzen BMW X6 auf dem Beifahrersitz und blätterte durch einen Katalog mit exklusiven Designermöbeln, den ihm sein Freund vor der Abfahrt in die Hand gedrückt hatte. Obwohl er selbst sehr gut verdiente, waren die darin angegebenen Preise nichts für seinen Geldbeutel.
»Kannst du mir mal verraten, was du mit diesem überteuerten Krempel anstellen willst?«, fragte er und bestaunte einen luxuriösen Esszimmertisch für 8000 Pfund.
»Ich will zu Hause ein wenig umräumen und mir ein Bücherzimmer einrichten. Die Hälfte meiner Bücher sind immer noch in Kisten verpackt und stehen im Keller.«
»Okay.« Matt stöberte lustlos in dem Katalog herum und lauschte nebenher den Songs im Radio. Von der vorbei ziehenden Landschaft bekam er nichts mit.
Schließlich bemerkte er, wie Sean anhielt und laut fluchte. »Immer wenn ich einen Parkplatz suche, finde ich keinen.«
»Moment mal. Warum sind wir bei Tyler?« Matt sah erschrocken aus dem Fenster und zum vierstöckigen Gebäude hinüber, in dem sein Freund wohnte.
»Ganz einfach. Weil ich bei Tyler etwas abholen muss.«
»Das hättest du früher sagen können«, schnauzte Matt ihn an und seine miese Laune kehrte schlagartig zurück.
»Wärst du sonst mitgekommen?«
»Hm«, grummelnd klappte Matt den Katalog zu und feuerte ihn hinter sich auf den Rücksitz.
»Siehst du.« Sean lachte, fuhr um die Ecke und stellte sich ins Halteverbot. Er zog sein Handy aus der Hosentasche und wählte eine Nummer. Matt vermutete, dass er versuchte Tyler zu erreichen.
»Ist ja mal wieder typisch … er ist nicht da. Könntest du vielleicht nach oben gehen und das Paket holen?«
Matt seufzte. Nicht nur, dass Tyler sich den ganzen Tag nicht bei ihm gemeldet hatte, nun war er nicht einmal zu Hause. Er wollte gar nicht daran denken, wo er denn sein könnte und verdrängte bewusst alle bösen Gedanken, die ihm in den Sinn kommen wollten. Matt vertraute Tyler blind. Die letzten zwei Jahre, in denen sie nun schon ein Paar waren, hatte er ihm nie Anlass für wilde Spekulationen gegeben. Matts letzten beiden Geburtstage hatten sie immer zusammen gefeiert, umso enttäuschter war er, dass Tyler offensichtlich jetzt nicht einmal zu Hause war.
»Ach komm schon. Bis ich einen Parkplatz gefunden habe und …«
»Ja, schon gut«, unterbrach Matt seinen Freund barsch. »Was soll das für ein Paket sein?«
»Es ist eine Überraschung für Finn. Schau am besten im Wohnzimmer. So viele Pakete können da nicht rumstehen.«
Matt schüttelte amüsiert, aber auch genervt den Kopf. »Da dürftest du ausnahmsweise recht haben.«
Kurz darauf stieg Matt aus und angelte seinen Schlüsselbund aus der Hosentasche, wo er auch den Wohnungsschlüssel von Tyler aufbewahrte. Mit einem merkwürdigen Gefühl in der Magengegend schloss er die Haustür auf, lief zum Fahrstuhl und fuhr in den vierten Stock. Als er im Flur vor der Wohnungstür stand, verstärkte sich das seltsame Bauchgefühl. Vor seinem inneren Auge sah er Tyler mit einem anderen Typen im Bett und konnte schon die Standardausrede »Es ist nicht so, wie du denkst« hören.
Schließlich holte er einmal tief Luft und stieß sie langsam wieder aus. Dann nahm er seinen ganzen Mut zusammen und schloss auf. Auf den ersten, selbst auf den zweiten und dritten Blick fiel ihm nichts Besonderes auf. Er hörte auch keine Stimmen oder Gestöhne. Langsam trat er ein und ging den kurzen Flur entlang, der ihn ins Wohnzimmer führte. Alles schien an seinem Platz zu sein. Die Kissen auf dem Sofa lagen akkurat da, so wie Tyler es immer wollte. Es war aufgeräumt und selbst ein flüchtiger Blick in die Küche sagte ihm, dass offensichtlich niemand hier gewesen war. Es stand auch kein benutztes Geschirr herum.
Dennoch wurde Matt das seltsame Bauchgefühl nicht los, dass in der Wohnung etwas nicht stimmte. Also lief er weiter in Richtung Schlafzimmer. Die Tür war verschlossen. Bevor er sie jedoch öffnete, legte er ein Ohr an und lauschte. Nichts. Keine Stimmen oder Gestöhne. Diese Tatsache beruhigte ihn ein wenig.
»Okay«, sagte er sich leise. »Du wirst es erst wissen, wenn du reingehst.«
Matt öffnete vorsichtig die Schlafzimmertür und wurde augenblicklich von Dunkelheit empfangen. Die Alu-Jalousie waren heruntergelassen und es war mucksmäuschenstill im Raum. Was sollte er nur davon halten? In diesem Moment wollte er einfach nur raus. Daher machte er auf dem Absatz kehrt und marschierte ins Wohnzimmer zurück. Er suchte das ominöse Paket, von dem Sean ihm erzählt hatte, fand es jedoch nicht.
Plötzlich drang leise Musik an Matts Ohr. Überrascht stellte er fest, dass es eines seiner Lieblingslieder war. Neugierig blickte er sich um und entdeckte Tyler lässig am Türrahmen zum Badezimmer stehen.
»Na, suchst du was?« Tyler sah ihn mit einem lasziven Lächeln an.
»Ich glaube, ich habe gefunden, was ich den ganzen Tag suchte«, antwortete Matt und schluckte merklich. Freude überrollte ihn und endlich hatte er Grund, doch noch an diesem Tag glücklich zu sein.
Tyler wirkte so sexy wie nie zuvor. Er trug seine schwarze Lederhose, die eng an seinem Körper anlag. Seine muskulöse Brust war nackt und Matt erkannte die Tattoos umso deutlicher. Das Schlangentattoo auf Tylers rechten Oberarm schlängelte sich hinauf bis zum Halsansatz. Der Drache auf dem linken Oberarm vollendete das Bild. In der einen Hand hielt er eine rote Rose. Mit der anderen fuhr er sich durch seine verwuschelte Haarmähne. Für einen Moment vergaß Matt zu atmen. Wie festgewurzelt stand er da und beobachtete seinen Freund, der langsam und geschmeidig auf ihn zukam.
Tyler legte beide Arme in Matts Nacken und sie sahen sich tief in die Augen. Alle bösen Gedanken, die Matt bis eben gehegt hatte, waren mit dem funkelnden Rehbraun vergessen, das ihn völlig in den Bann zog.
»Happy Birthday, Darling«, hauchte Tyler ihm zu und im nächsten Moment trafen sich ihre Lippen.
Sanft und dennoch bestimmend fuhr Tylers Zunge über seine Lippen, bis Matt den Mund öffnete und sie sich in einem innigen und leidenschaftlichen Kuss wiederfanden. Matts Herzschlag beschleunigte sich und die Schmetterlinge flogen einen wilden Tango wie am ersten Tag. Er zog Tyler fest an sich und beide verloren sich für eine halbe Ewigkeit in diesem Kuss.
»Ich hoffe, du hast heute nichts weiter vor?«, fragte Tyler zwinkernd, als sie sich voneinander lösten.
»Also ich wüsste, was ich jetzt mit dir vor hätte.« Matts Finger streichelten über die sanften Gesichtszüge seines Liebsten. Tyler hauchte ihm einen Kuss an sein Ohr, woraufhin Matt ein leiser Seufzer entfleuchte. Mit einem breiten Lächeln nahm Tyler es zur Kenntnis.
»Dann schätze ich mal, dass unser Sushi-Essen ausfällt.« Matt grinste und seine Finger wanderten über die Brust seines Liebsten.
»Ich kenne da etwas viel Besseres.« Tyler verstrickte Matt in einen weiteren hungrigen Zungenkuss, den er bereitwillig erwiderte.
Kurz darauf zog er Matt an der Hand hinter sich in Richtung Schlafzimmer. Dort angekommen machte er das Licht an und gab den Blick auf ein Meer aus roten Rosenblättern frei, die auf der weißen Bettwäsche verstreut lagen. Vorfreude erregte Matt und er glaubte sich ein einem wunderschönen Traum.
»Gleich wirst du nicht mehr ans Essen denken.«
»Ist das eine Drohung?« Matts Grinsen wurde breiter.
»Nein, eine Tatsache.« Tyler stupste Matt in Richtung Bett und schloss die Schlafzimmertür hinter sich.
© Madison Clark